Friday, June 19, 2009

Führungswechsel: Das 100 Tage-Paradoxon

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Je länger eine Führungskraft in einer neuen Führungsposition ist, desto besser kennt sie das System. Gleichzeitig hat sie aber immer weniger Einfluss auf ihre Selbstpositionierung. Denn nichts ist so stark wie der erste Eindruck. Die neuen Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzten machen sich gerade in den ersten Tagen ein Bild von der neuen Führungskraft, das sich zunehmend schwerer revidieren lässt. Das gilt übrigens interessanterweise auch, wenn ein früheres Teammitglied zur Führungskraft im eigenen Team wird.

Es ist paradox: In den ersten 100 Tagen, wenn die neue Führungskraft am wenigsten über das neue Unternehmen oder Umfeld, seine Regeln und seine Kultur weiß, ist der Hebel für eine gelungene Positionierung besonders groß. Daher muss es gelingen, die mangelnde Kenntnis über das neue soziale System durch systematische Vorgehensweisen auszugleichen. Dazu gehört auch, dass der Führungswechsler sich fremde Sichtweisen organisiert, um die eigenen blinden Flecken zu erhellen.

Vorraussetzung dafür ist, dass der Führungswechsler sich gerade in der ersten Zeit die Muße nimmt, wach und aufmerksam die Situation zu reflektieren und die Vorgehensweise zu planen. Nur so lassen sich Fehler in der Kommunikation und der eine oder andere Fettnapf vermeiden. Und nur so scheint das – auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht – wünschenswerte Ziel erreichbar, dass die neue Führungskraft schnell wirksam und langfristig erfolgreich wird.

Nun beobachte ich immer wieder, dass neue Führungskräfte sich gerade in den ersten 100 Tagen keine Zeit nehmen, um innezuhalten. Und das ist auch verständlich, denn diese Tage sind geprägt von vielen neuen Eindrücken und operativer Hektik. Aber es ist das klassische Problem des beschäftigten Holzfällers, der zum Sägeschärfen keine Zeit hat.
Wer langfristig erfolgreich sein will, muss seine „Säge“ frühzeitig „schärfen“ und sich spezielle Fähigkeiten aneignen. Hierzu gehören aus meiner Sicht:
  • die Fähigkeit sich systematisch auf die neue Führungsposition vorzubereiten
  • die Fähigkeit sich in der neuen Organisation zu orientieren und die Einarbeitungsphase zu strukturieren
  • die Fähigkeit von Anfang an zielgerichtete Gespräche mit Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kollegen zu führen
  • die Fähigkeit, Visionen, Ziele und Strategien zu formulieren und zu kommunizieren
  • die Fähigkeit Veränderungen zu konzipieren, einzuleiten und umzusetzen
  • die Fähigkeit und Bereitschaft sich zu reflektieren, um aus den gemachten Erfahrungen zu lernen.
Das Unternehmen kann hierzu einen großen Beitrag leisten. Je mehr Führungswechsel im Unternehmen stattfinden, desto dringender ist es, dies auch zu tun. Es gibt drei Ebenen, auf der die Geschäftsführung und die Personalabteilung Führungswechsel systematisch unterstützen kann:

1. Die individuelle Ebene:
Hier setzen Trainings- und Coachingkonzepte an, um die neue Führungskraft für den Führungswechsel fit zu machen.

2. Die prozessuale Ebene:
Hier werden auf der Ebene des Unternehmens klare Vorgehensweisen und Prozesse etabliert, um die Führungskraft systematisch beim Ankommen im Unternehmen zu unterstützen. Es werden verbindliche Feedbackschleifen definiert. Dabei sind Maßnahmen hilfreich wie z.B.
  • Ritualisierte Übergabegespräche zwischen alter und neuer Führungskraft
  • Erwartungsklärung und schriftliche Vereinbarungen zwischen neuer Führungskraft und Vorgesetztem für die ersten 100 Tage
  • Erfahrungsaustausch unter den Führungskräften
  • Startworkshops im Team zur Zusammenarbeit
  • Einarbeitungsprogramme
  • Hospitationsprogramme
  • Regelmäßige und ritualisierte Feedbackgespräche
3. Die kulturelle Ebene:
Diese Ebene ist - wie immer - am schwierigsten zu bearbeiten. Denkweisen wie „eine gute Führungskraft muss da durch, ich musste da auch durch“ haben in einer Zeit, in der die Führungskräfte immer kürzer in einer Position bleiben, keinen Raum mehr. Daher muss die Integration neuer Führungskräfte auf der kulturellen Ebene – und damit auch im Leitbild, den Führungsleitlinien, in Personalentwicklungs- und Kommunikationskonzepten verankert werden.

Wenn frühzeitig und systematisch die „Säge geschärft“ wird, lässt sich das 100-Tage-Paradoxon auflösen. Dazu gehört das Innehalten in einer hektischen Zeit. Und das liegt sowohl im Interesse der einzelnen Führungskraft als auch des Unternehmens.
(Autor: Michael Seipel)

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