Tuesday, February 24, 2009

Führungsprobleme und moderne Systemtheorie

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Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Ein Team wendet sich an das obere Management um mitzuteilen, dass es mit der Bereichsleitung nicht mehr arbeiten will. Der Führungsstil sei „unmenschlich“. Es würde nur noch kritisiert und die Leistungserwartung sei im Rahmen der Arbeitslast unerreichbar. Es wurde nicht mehr als notwendig gesprochen und es wurde sich aus dem Weg gegangen. Mitglieder aus dem Team wurden krank und blieben der Arbeit fern. Die Bereichsleitung verstand das Problem nicht. Sie achtete nur auf entsprechende Qualität bei der Leistung und die sei nunmal nicht optimal. 

Der Aufmerksamkeitsfokus lag beidseitig klar auf dem was auf der anderen Seite jeweils nicht funktionierte und genau das wurde natürlich in der täglichen Arbeit auch gefunden.

Die Qualität der Arbeitsergebnisse ging in den letzten Monaten deutlich zurück.

Folgende Fragen sind denkbar: Wer hat das verursacht? Die Bereichsleitung? Oder eher Mobbing der Führungskraft durch das Team? Das obere Management, weil es die Situation nicht kommen sah und entsprechend agierte?

Die Antworten fokussieren, dann eher auf Personen und deren vermeintlichen objektiven  Eigenschaften. Diese Antworten kommen jedoch vom Antwortgeber, bzw. vom Beobachter aus seiner Sicht und sagen oft mehr über seine Werte, Filter und Ziele und als über die beschriebenen Personen. Die zugeschriebenen Eigenschaften sollen dann erklären wie es zu der Eskalation sowie zu den Denk- und Verhaltensmuster gekommen ist und Wege aus der Krise zeigen.

Kurt Levin sagte: "Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie". Die moderne Systemtheorie bietet uns die Sichtweise, dass Systeme nicht aus Personen sondern aus Kommunikation und zurechenbarer Handlung bestehen. Die Bereichsleitung und das Team sind in dem Sinne ein System. Sie unterscheiden sich in ihrer Art und Weise sowie von den Aufgaben von anderen Bereichen. Ein System besteht aus einer Differenz zu seiner Umwelt.

Kommunikation besteht nach Luhmann aus Information, Mitteilung und Verstehen. Ein System wird durch Kommunikation geschaffen und erschafft sich durch Folgen von Kommunikation weiter (selbstreferentiell).

In dem Fall haben Bereichsleitung und Team ihr System erarbeitet, indem Kommunikationsbeiträge der anderen Seite spezifisch gedeutet, bewertet und beantwortet wurden. Durch diese Betrachtung kommen sowohl Bereichsleitung als auch das Team ins Bild. Wenn nun dazu betrachtet wird, dass nicht die Personen den Unterschied machen sondern die Kommunikation, die zwischen ihnen statt findet, dann bedeutet dies, dass beide Seiten gleichermaßen für das Ergebnis der Kommunikation und Handlungen verantwortlich sind. Ergeben sich durch diese Sicht neue Möglichkeiten der Bewertung? 

Das ist doch völlig klar, mögen sich viele Leser denken, doch betrachten Sie einmal was in vielen Unternehmen passiert, wenn es mit der Führung nicht wie gewünscht klappt. Oft wird dann ein „Schuldiger“ gesucht und ausgetauscht.

Praktisch bedeutete dieser Auftrag für mich, mit allen Beteiligten Gespräche zu führen, um zu prüfen wie verhärtet oder wie elastisch die Sichtweisen jeweils waren. Das ca. 4 Stunden lange  Gespräch mit dem Team startete mit der klaren Aussage: „Wir können über alles reden, doch die Chefin muss weg.“

Wirken kann ein Berater nur dann, wenn seine Kommunikation „anschlussfähig“ zu dem System  wahrgenommen wird. Als Berater bin ich in dem Kontext „neutral“ oder besser allparteilich und hinterfrage „naiv“  und ergebnisoffen, die jeweiligen Sichten mit systemischen, d.h. unterschiedsbildenden Fragen. Zum Beispiel mit Skalierungsfragen: Bei einer Skala von 0 – 10 wobei 0 für „katastrophal“ und 10 für „optimal“ steht.  „Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit Ihrer Chefin derzeit? Wie schätzen Sie es ein, war es, als Ihre Zusammenarbeit am Besten war?“ Oder auch mit zirkulären Fragen: „Wie schätzen Sie, beschreibt Ihre Chefin die Situation? Wann war das Verhalten Ihrer Chefin mal ein wenig anders? Wie haben Sie darauf reagiert?“

Später fragte ich das Team: „Auf einer Skala von 0 – 10, wobei 0 für völlig unbeweglich und 10 für sehr beweglich steht: Wie schätzen Sie Ihre persönliche Bereitschaft ein auf Ihre Chefin zuzugehen, wenn diese sich auf Sie zubewegt?“

Die Bereitschaft des Teams war da, einem Workshop zum Thema Zusammenarbeit mit der Chefin zuzustimmen, wenn diese auch bereit ist ihre eigenen Beiträge offen zu diskutieren.

Mit der Chefin arbeitete ich ähnlich und auch sie war nach ca. 4 Stunden Gespräch offen für einem Workshop mit dem Team. Sie fragte auch nach einem persönlichen Coaching an, da während des Gesprächs die Hypothese entstand, dass ihre Kommunikationsbeiträge im Bereich eher etwas mit ihrem „Heimat System“ zu tun haben.

Schon vor dem Workshop, so wurde mir erzählt, verbesserte sich die Wahrnehmung der Stimmung und das Kommunikationsverhalten von beiden Seiten. Auf dem Gang wurde wieder gegrüßt. Man schaute sich wieder in die Augen und es wurde wieder miteinander über Aufgaben und Inhalte gesprochen. Der Fokus der Aufmerksamkeit (von Problemen ?  zu Neugierde, Interesse?) war nun ein anderer. Kommunikation (Information, Mitteilung und Verstehen) und Handlungen im System haben sich durch das System verändert.

In dem Workshop ging es zu Beginn um die Erarbeitung der Ziele und Erwartungen an den Workshop. Natürlich ging es auch um die Besprechung von Begebenheiten aus der Vergangenheit. Dies war für manche Teilnehmer des Workshops nicht leicht. Beide Seiten empfanden diesen Schritt als sehr hilfreich, um daraus zu lernen und auch abzuleiten was in der Zukunft ein besseres Denk- und Verhaltensmuster ist.

Es entwickelte sich durch den Workshop die Erkenntnis, dass es jeweils einen Unterschied zwischen Absicht und Wirkung in der Kommunikation und in den Handlungen gibt. Es entwickelte sich weiter die erlebte Erkenntnis, dass Kommunikation und Handlungen zwischen ihnen geschieht und das beide Seiten verantwortlich für das Ergebnis ihrer Kommunikation sind. Körperhaltung und Offenheit in der Kommunikation drückten eine Verbesserung in der Zusammenarbeit klar aus. Anonyme Skalierungsfragen nach dem bekannten Muster dokumentierten es: „Wie schätzen Sie die Ergebnisse des Workshops im Hinblick auf Ihre Zusammenarbeit ein (0-10: 0=oberflächlich, 10=sehr gut; substantiell)? Wie sehen Sie Ihr persönliches Engagement sich für die neuen Ziele und Zusammenarbeit einzusetzen, auch wenn es Rückschläge in der Zusammenarbeit gibt?“

Es wurden Vereinbarungen über die Art und Weise der Kommunikation miteinander beschlossen sowie regelmäßiger miteinander zu sprechen. Dort sollen neben den fachlichen auch überfachliche Themen Raum haben.

Beide Seiten wollen genauer auf die Ergebnisse ihrer Kommunikation achten sowie bei Abweichungen von Vereinbarungen verantwortlich aufeinander zu gehen und daran erinnern. Missverständnisse und damit Abweichungen sind wahrscheinlich. Es macht Sinn damit zu rechnen und diese als Erinnerungshelfer zu definieren.

Nach 6 Wochen findet ein weiterer moderierter Workshop statt, um Erfahrungen über die letzen Wochen auszutauschen. Das Einzel Coaching mit der Bereichsleitung findet weiter alle 3-4 Wochen für jeweils 4 Stunden statt, um die Rolle als Führungskraft zu reflektieren und zu optimieren.

Kommunikation bestimmt in Unternehmen die Qualität der Unternehmensergebnisse. Im beschriebenen Beispiel war die Qualität der Kommunikation sichtbar geworden indem sie explizit gemacht wurde. Was passiert da, wo dies nicht gemacht wird oder gesehen werden will?

Die Qualität der Kommunikation kann in jedem Unternehmen optimiert werden. Dazu muss sie in irgendeiner Weise sichtbar gemacht, bzw. gemessen werden. Diese explizite Anregung, verdanke ich auch einen Vortrag von Herrn Peter Schlötter zum Thema Wissensmanagement. Die Ergebnisse der „Messung“ sind dann Ausgangspunkt für ein Gespräch zur aktiven Qualitätssicherung der Kommunikation. Kommunikation ist nicht einseitig eine Sache des Managements sondern alle im Unternehmen sind gleichermaßen verantwortlich für die Ergebnisse.

Klar ist, dass dies ein kontinuierliches Projekt sein muss. Wie kann gemessen werden? Mit einfachen Skalierungsfragen wie z.B.: „Wie geht es Ihnen hier?“ bis hinzu differenzierteren Fragen nach Stimmungen, Unternehmensstrategie, Image, etc.. Die Lösung von HR-Meter, Metrix Teamqualität, geht auch in diese Richtung. Strukturaufstellungen sind eine weitere Möglichkeit die Qualität von Kommunikation sichtbar zu machen.

Der entscheidende Prozess beginnt jedoch mit der unternehmerischen Entscheidung kontinuierlich an der Qualität der Kommunikation und damit der Qualität der Unternehmensergebnisse zu arbeiten. Externe Prozess Berater können diesen Prozess wirkungsvoll unterstützen. Stichworte: „Blinde Flecken“ und ergebnisoffen in der Moderation. (Author: Christoph Schlachte, Coach DBVC, www.systemische-unternehmensberatung-und-coaching.de)

1 comment:

  1. Das ist ein toller Artikel! Vielen Dank. "Die Qualitaet der Kommunikation kann in jedem Unternehmen optimiert werden" ist der Satz, dem ich anfuegen wuerde "denn Kommunikaton ist der zentralste Ansatzpunkt, um Leistungsverbesserungen zu erzielen."

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